Wer die Trends der Digitalisierung sehen will, der muss nach China blicken. Die 1,4 Milliarden Chinesen nutzen schon heute das Smartphone für nahezu den gesamten Alltag. Selbst den Obst- und Gemüse-Einkauf auf dem lokalen Markt erledigt die Mehrheit digital. So wie die 1,24 Milliarden monatlichen Nutzer von WeChat. Was als einfacher Messenger-Dienst anfing – wir alle kennen WhatsApp bei uns – hat sich zu einem umfassenden Instrument entwickelt, mit dem der Alltag vereinfacht werden kann. Diese einzigartige Integration in alle Bereiche des täglichen Lebens ist ein wirklich starker wirtschaftlicher Burggraben, der auch in der schnelllebigen digitalen Welt so schnell nicht überwunden werden kann. Tencent als Mutterkonzern profitiert massiv von WeChat, weil die Nutzer sehr einfach mit anderen Online-Anbietern und klassischen Anbietern aus der Offline-Welt verzahnt werden können.
Tencent ist heute DAS digitale Betriebssystem der Generation Z in China. Dazu zählt auch ein App-Store mit einer eigenen Entwicklungsumgebung. Die Kunden können in WeChat die Apps direkt starten. Das ist wichtiger, als es auf den ersten Blick klingt: Wenn Handykäufer in China ein neues Endgerät kaufen, geht es nicht um das eigentliche Betriebssystem – also Android oder Apple iOS. Kaufentscheidend ist vielmehr, ob das Smartphone WeChat mit seinen 3 Millionen Mini-Programmen integriert hat. Zum Vergleich: Apple bringt es im App-Store auf 1,8 Millionen Einträge und bei Android sind es zwischen 2,2 und 2,3 Millionen.
WeChat ist eine der Super-Apps, die in China zum Alltag gehören. Wenn ein Nutzer das Wallet für Zahlungen eingerichtet hat, kann er das überall einsetzen – ob zum Fahrkartenkauf oder eben auf dem lokalen Markt. Etwas Vergleichbares gibt es bei uns nicht. Der App-Markt ist hierzulande stark fragmentiert und überall müssen die Anmeldedaten ständig erneut eingegeben werden. Das entfällt in WeChat und macht diese Anwendung so stark – man kann sagen: Das ist eine Online-Superpower.
Ausgehend von WeChat hat Tencent Holdings noch weitere wichtige Geschäftsfelder. Gaming ist der wichtigste Umsatzbringer. An den weltweit 10 umsatzstärksten Spielen hat Tencent einen Marktanteil von über 40 Prozent. Dazu gehören die die Megaseller Honor of Kings und Clash of Clans. Anfänglich wurden Einnahmen aus Werbeeinblendungen generiert, mittlerweile sind die Spiele in vielen Fällen kostenlos, vielmehr ist heute die „In Game Monetization“ entscheidend. Viele Games haben eine eigene Währung wie beispielsweise Edelsteine bei Clash of Clans. Nutzer kaufen dann mit den Edelsteine Funktionen hinzu, mit denen man schneller und besser spielen kann.
Ein weiterer wichtiger Umsatzbringer ist das Streaming. Mit Tencent Video und Tencent Music gehören das chinesische Netflix und Spotify zum Portfolio des Unternehmens. Genau hier liegt aber auch noch ein enormes Wachstumspotenzial. 650 Millionen Nutzer sind bei diesen Streaming-Diensten registriert. Deren Basis bildet das Freemium-Modell. Die Kunden können den Service kostenlos nutzen, bekommen aber ab und zu Werbeeinblendungen. Kunden mit mehr Wünschen schließen dann ein Abo für ein werbefreies Premiumangebot mit weiteren Funktionen ab. Bei Tencent Music sind das derzeit zwar nur 7,7 Prozent der eingetragenen Kunden, bezogen auf die große Kundenbasis sind das aber immerhin 50 Millionen Chinesen, die hier den kostenpflichtigen Streaming-Dienst nutzen.
Bei Spotify hingegen liegt die Rate der Bezahlkunden schon bei 50 Prozent. Dieser Unterschied verdeutlicht das enorme Wachstumspotential allein bei Tencent Music. Durch die hohe Kundenanzahl würden selbst kleine monatlicher Abo-Beträge schon schnell hohe Erträge bringen.
Trotz der enormen Größe mit einer Marktkapitalisierung von fast 800 Milliarden US-Dollar spielt einer der Gründer bei dem 1998 gestarteten Unternehmen noch immer eine große Rolle. So ist Ma Huateng heute noch als Vorstandsvorsitzender der starke Mann bei Tencent. Sein Aktienanteil beträgt immer noch über 8 Prozent und hat damit einen Wert von über 50 Milliarden US Dollar.
Diese starke Verankerung des Gründers ist bei Unternehmen dieser Größe nicht häufig zu finden und alles andere als selbstverständlich. Wir bei Shareholder Value Management schauen aber bei der Auswahl von Unternehmen genau auf solche Aspekte. Historisch gesehen hat sich herausgestellt, das starke Business-Owner langfristige Entwicklungen vorantreiben, die oft auch im Sinne der Aktionäre sind und den Unternehmenswert überdurchschnittlich steigern.
So auch bei Tencent Holdings – allein 2020 lag der Nettogewinn bei umgerechnet rund 25 Milliarden US-Dollar. Auch bei der Verwendung des Gewinns kann Tencent punkten: Die Gewinne werden gut angelegt und es bestehen heute schon viele Beteiligungen – auch an großen US-Konzernen. So ist Tencent mit 5 Prozent einer der Großaktionäre von Tesla. Der Anteil an Spotify beträgt 7 Prozent und beim Gaming-Giganten Activision ist Tencent mit 5 Prozent beteiligt. Diese Beteiligungen bestehen oft schon seit vielen Jahren und haben so enorme Wertsteigerungen gebracht.
Dabei fährt Tencent eine zweifache Strategie: Der Einstieg bei westlichen Spieleentwicklern dient dazu, diese näher an den chinesischen Markt heranzuführen, nach dem Motto: „Ihr habt die Spiele – und wir haben den chinesischen Markt.“ Bei Beteiligungen im chinesischen Markt nutzt Tencent die große Menge an eigenen Kundendaten. So werden Trends schnell erkannt und passende Firmen können übernommen werden. Die kleineren Firmen können sich dabei gegen die Beteiligung von Tencent kaum wehren, weil sonst der komplette Zugang zu WeChat nicht mehr möglich sein könnte.
Insgesamt bietet Tencent Holdings als digitale Superpower in China massive Wachstumsaussichten. Das Unternehmen ist diversifizierter als die westlichen Konkurrenten, nutzt aber die Umsatz- und Ertragschancen noch deutlich geringer aus. Aktuell ist die Google-Mutter Alphabet (Blogbeitrag: Alphabet: Viel mehr als nur die Google-Suche), auch eine der wichtigen Positionen beispielsweise im Frankfurter Aktienfonds für Stiftungen, an der Börse fast 1,8 Billionen Dollar wert - Tencent Holdings nur rund 640 Milliarden Dollar. Wir können uns in einem für beide positiven Umfeld aber gut vorstellen, dass auf Sicht von 5 Jahren diese Lücke deutlich kleiner wird zugunsten von Tencent Holdings.